@hf_spsler
Du hast insofern recht, als dass ich auch glaube, dass bei vielen Systemen das Balancing in der Tat auch über das Ausgleichen von Selbstentladung hinaus aktiv wird.
Meiner Ansicht nach sollte das aber nicht sein und ist ein Defizit des Setups.
Warum man das so bewerten sollte, möchte ich kurz erläutern:
"Minimale Kapazitätsunterschiede":
Theoretisch könnte man bei einem seriellen Batteriestack durch eine "aktive" Balancing-Schaltung, die Ströme in der Größenordnung der typischen Entladeströme des Packs liefern kann, Kapazitätsunterschiede der Zellen ausgleichen und somit die vollständige Energieinhalt eines Packs ausnutzen.
Bei 280Ah Zellen dürften typische Entladeströme aber eher über 10 Ah liegen, so dass es praktisch keine Balancer geben dürfte, die dazu wirklich in der Lage sind.
Ich denke man sollte dabei auch folgendes beachten:
1.) Wenn man mehrer 100 € für eine z.B. 20 A Balancer Schaltung ausgegen würde, um die letzten 5 % eines Zellstacks für 1000 € zu nutzen, ist das nicht ökonomisch.
2.) Wenn man so wenig Kapazität hat, dass man den Pack regelmäßig bis auf die letzte Wh nutzen möchte, sollte man über mehr Kapazität nachdenken.
Sobald man "ausreichend" Kapazität hat ( und keine massiv geschädigten Zellen ) sollte man kaum merken, wenn eine Zelle 5% weniger Kapazität hat als die anderen.
3.) Noch viel schlimmer: Ich halte starke Balancer für potentiell "brand-gefährlich", weil sie eine zunehmende Selbstentladung von Zellen mit beginnendem Dendriten-Wachstum vor dem Nutzer verstecken.
Das ist für mich völlig inakzeptabel, weil es das Gegenteil ist, was man bei einem "Fail-Safe" Design haben möchte. Potentiell gefährliche Veränderungen müssen entweder zur automatischen Abschaltung führen oder mindestens dem Nutzer zur Bewertung mitgeteilt werden.
"unterschiedliche Übergangswiderstände der Zellverbinder"
Wenn man die Zellverbinder "vernünftig" anbringt sollten die Übergangswiderstände maximal um einige wenige 100 uOhm schwanken.
Wenn man bei diesen einigen wenigen 100 uOhm gegen Ladeende durch die Ladeströme eine signifikante Balancer Aktivität hat, sollte man überlegen, ob es wirklich sein muss, dass man die letzten paar Ah mit Strömen >> 10 A in den Akku zwingt.
Wenn man deutlich mehr als diese einige wenige 100 uOhm Schwankung in den Übergangswiderständen hat,
sollte man entweder die Übergänge überarbeiten
oder den Pack nur mit entsprechend niedrigeren Strömem nutzen
oder ein BMS nutzen, dass die effektiven Zellpfadwiderstände misst/schätzt und bei einer Balancing Entscheidung berücksichtigt.
Probleme mit den Übergangswiderständen durch Balancing verstecken zu wollen, halte ich streng genommen für fahrlässig.
"warscheinlich noch mehr Faktoren zusammen die man so jetzt gar nicht auf dem Schirm hat":
Viele Leute hier haben in der Tat nicht auf dem Schirm, dass Effekte wie Memory-Effect und verwandte zellindividuelle Eigenarten in der Ladespannungskurve gegen Ladeende, für das Auseinanderlaufen der Zellspannungen verantwortlich sein können.
Zusätzlich wird natürlich die Selbstendladung der Zellen auch noch eine gewisse Abhängigkeit von SOC und Temperatur haben.
"die Ah pro Zelle Balancierstrom wird vermutlich keine verwertbare Information entstehen."
Dem möchte ich ganz entschieden widersprechen und das mit Beispielen untermauern:
Dies ist ein klassisches Beispiel für die Balancing-Statistik eines Packs mit einer Zelle mit deutlich erhöhter Selbstentladung ( ~ 2.5 mA )
Der Pack ist fast fabrik-neu ( CALB 300 Ah Zellen von nkon) und kaum genutzt, so dass die Zellen sich ansonsten noch nahezu ideal verhalten. Deswegen sieht Zelle 3 praktisch keine Balancer-Aktivität, während alle anderen Zellen eine nahezu identische Balanceraktivität aufweisen, um die Selbstentladung von Zelle 3 zu kompensieren
Dieses Beispiel sieht deutlich anders aus: ( gebrauchte 310 Ah CATL Zellen, gekauft über ali vor ~ 2.5 Jahren )
Zelle 16 hat eine um ~ 300 uA erhöhte Selbstentladung, und "leidet" zusätzlich unter einem ausgeprägtem Memory-Effect.
Durch die starke Spannungsüberhöhung gegen Ladeende beim Reseten des Memory-Effect kommt es auch bei Zelle 16 immer wieder zur Balancer Aktivität, die dann in der Folge durch Aktivität bei allen andere Zellen wieder kompensiert werden muss.
Das hat aber praktisch gar keine Auswirkung auf die Auswertung der Selbstentladung, weil dabei immer nur das Delta zur Zelle mit der geringsten Balanceraktivität berücksichtigt werden muss.
Das dritte Beispiel zeigt einen, was Selbstentladung betrifft, ziemlich homogenen Pack ( EVE 280 Ah Zellen ~ 2 Jahre alt )
Die Abweichung in der Selbstentladung liegt hier bei < 200 uA, so dass die Balancing-Statistik von Sekundäreffekten geprägt wird, die aber wiederum keine Auswirkung auf die Bewertung der Selbstentladung hat.
Bei diesem Pack ist praktisch kein Balancing notwendig.
"Selbst wenn man das grafisch auswertet. Nehmen wir an der Balken für Zelle X würde über die Zeit deutlich stärker ansteigen als die Balken aller anderen Zellen, dann müsste erst mal die Kapazität der Zelle gemessen- und mit allen anderen Kapazitäten verglichen werden"
Ein ganz dediziertes NEIN! Wenn man ein sauberes Top-Balancing durchgeführt hat und das Balancing nur gegen Ladeende ( > 3400 mV ) aktiv ist misst man keine Kapazitätsunterschiede!
"Anschließend das Gleiche mit den Übergangswiderständen. Erst dann könnte man vielleicht eine genauere Aussage treffen - aber ist das zuverlässig?"
Auch hier ein ganz dediziertes NEIN. Wenn das Balancing auf erhöhte Widerstände reagiert, dann wird einer Zelle fälschlicherweise Ladung entnommen. Sobald der Schweifstrom entsprechend gefallen ist, wird diese Zellspannung dann unter die Spannung der anderen fallen und der Balancer korrigiert seinen Fehler automatisch.
Klar sollte sein, das eine Auswertung der Balancer-Statistik immer nur zwischen zwei Zeitpunkten, zu denen der Pack nahezu ideal gebalanced ist, stattfinden darf.
Insbesondere wenn man das initiale Top-Balancing des Pack seriell mit installierten BMS durchführt, sollte man die Balancer-Statistik danach natürlich zurücksetzen.
Die absolute Selbstentladung kann man aus der Balancer-Aktivität alleine selbstverständlich nicht ableiten.
Ich weiß aber aus der langfristigen Ladungs-Bilanz meiner Packs, dass die Selbstentladung von "gesunden" 280 Ah Zelle bei maximal einigen wenigen 100 uA liegt.
Da die überwiegende Zahl meiner Zellen keine signifikant erhöhte Selbstentladung zeigt, habe ich im Moment in jedem Pack genug Zellen, die mir eine "Baseline" liefern, so dass ich sogar die absolute Selbstentladung relativ gut bewerten kann.