Ich hatte kürzlich einen interessanten E-Mail-Austausch mit dem Stromanbieter Tibber bezüglich der Nutzung eigener Messgeräte für deren dynamischen Stromtarif. Hier die wichtigsten Punkte:
Ausgangssituation
Ich nutze bereits einen Volkszähler mit MQTT-Protokoll, der alle 10 Sekunden Verbrauchsdaten liefert
Tibber bietet dynamische Stromtarife mit stündlicher Abrechnung an
Für die stündliche Abrechnung wird entweder ein Smart Meter vom Netzbetreiber oder der Tibber Pulse (ca. 99€) benötigt
Kernpunkte der Antwort von Tibber
Für die stündliche Abrechnung akzeptiert Tibber nur zwei Wege der Datenübermittlung:
Ein vom Netzbetreiber installiertes intelligentes Messsystem
Den Tibber Pulse, der an der IR-Schnittstelle des digitalen Zählers angebracht wird
Begründung: Die Verifizierung der Verbrauchsdaten ist ausschlaggebend und wird vom Netzbetreiber verlangt
In Deutschland ist es laut Tibber "noch nicht möglich", Verbrauchswerte per API zuzuspielen
In Norwegen funktioniert dies bereits, da dort standardmäßig Smart Meter installiert sind
Tibber hofft, diesen Service mit dem Smart Meter Rollout 2027 auch in Deutschland anbieten zu können
Mein Einwand
Ich erklärte, dass mein Setup technisch identische Daten wie der Tibber Pulse liefert, da es ebenfalls die IR-Schnittstelle des Zählers nutzt und die Daten in Echtzeit übermittelt.
Tibbers finale Antwort
Trotz technischer Gleichwertigkeit können sie nur die Übertragung via Pulse oder Netzbetreiber-Smart-Meter akzeptieren, da sie sich "an rechtliche Vorgaben halten müssen". Eine Integration meines Systems sei nicht möglich.
Meine Gedanken dazu
Es scheint, als ob Tibber aus rechtlichen oder geschäftlichen Gründen auf ihrem eigenen Hardware-Produkt besteht, obwohl technisch gesehen alternative Lösungen dieselbe Funktionalität bieten könnten.
Diskussionsfrage
Was haltet ihr davon, dass Energieanbieter wie Tibber auf proprietäre Hardware bestehen, obwohl technisch gleichwertige Open-Source-Lösungen existieren? Ist dies wirklich nur eine Frage der rechtlichen Vorgaben oder steckt dahinter auch ein Geschäftsmodell mit Hardware-Verkäufen?
Würde mich über eure Meinungen und Erfahrungen freuen, besonders von denen, die vielleicht schon andere Wege gefunden haben, um mit dynamischen Tarifen zu arbeiten.
Wahrscheinlich ist beides der Fall. Alles was nach Einheiten, Liter, kg, oder kWh berechnet wird, muss den Vorgaben des Eichgesetzes entsprechen. Der digitale Zähler vom Stromversorger ist es. Wenn nun die Datenübertragung zu "Tibber" manipuliert werden könnte, nützt der beste Zähler nix.
Wenn du zum Markthändler mit deiner eigene Waage kommst wird dir ähnliches geschehen und an der Tanke wird das Zählwerk der Zapfsäule verwendet, auch wenn du auf deinem geeichten Kanister bestehen würdest.
danke für deine Antwort! Ich finde deine Denkweise sehr interessant, besonders das Beispiel mit der Tankstelle ist durchaus zutreffend. Du hast einen wichtigen Punkt angesprochen - die Eichkonformität und Manipulationssicherheit sind tatsächlich wesentliche Faktoren.
Allerdings ist mein Setup etwas anders als dein Beispiel vermuten lässt: Ich nutze keine "eigene Waage", sondern lese direkt die IR-Schnittstelle des geeichten Stromzählers aus - genau wie der Tibber Pulse es auch tut. Beide Geräte lesen identische Daten vom selben geeichten Zähler. Der Unterschied liegt nur in der Weiterverarbeitung dieser Daten.
Das wäre vergleichbar mit einer Situation, in der die Tankstelle zwar auf ihrem geeichten Zählwerk besteht (was völlig richtig ist), aber zusätzlich darauf, dass nur ihr eigenes Display die Werte anzeigen darf - obwohl das Zählwerk selbst eine standardisierte Schnittstelle hat, die jeder auslesen könnte.
Ich verstehe natürlich die rechtlichen Vorgaben und dass Tibber sich daran halten muss. Dennoch finde ich es schade, dass technisch identische Lösungen nicht akzeptiert werden können, nur weil sie nicht vom Anbieter selbst stammen.
Mein Vergleich "hinkt", dass war mir bewusst. Der Markhändler will Obst und Gemüse verkaufen und verpflichtet dich nicht, bei ihm eine Waage zu kaufen, um die Ware abzuwiegen.
Der Hichi Volkszähler ist vom Aufwand "etwas" geringer, als dieses Tibber Pulse Teil. Das besteht wohl aus 2 Teilen, hat eine Batterie im Lesekopf und die Firma muss auch ihre App am Laufen halten. Wie lange die Batterie hält, ist mir nicht bekannt, wie das Teil mit Tibber kommuniziert auch nicht. Aber auf alles hat die Firma Gewähr zu leisten. Das alles gibt´s beim Volkszähler nicht.
Du hast absolut recht, der Vergleich mit dem Markthändler trifft es besser. Es zeigt deutlich den Unterschied zwischen einem offenen System und einer proprietären Lösung.
Deine Einschätzung zum Tibber Pulse ist interessant. Tatsächlich ist der Volkszähler für meine Bedürfnisse besser geeignet:
Die Amortisationszeit des Pulse wäre zu lang.
Ich benötige detailliertere Auswertungsmöglichkeiten, mindestens alle 30 Sekunden, und möchte die Daten lokal speichern können.
Die batterielose Lösung mit 5V-Hutschienen-Netzteil ist wartungsärmer und zuverlässiger als ein Gerät mit Batteriewechsel.
Diese Punkte, kombiniert mit der Tatsache, dass Tibber keine Alternative zum Pulse akzeptiert, machen den Dienst für mich ungeeignet. Es ist schade, dass innovative Lösungen wie der Volkszähler nicht integriert werden können, obwohl sie technisch gleichwertig oder sogar überlegen sind.
Es wäre interessant zu sehen, ob sich mit dem Smart Meter Rollout 2027 neue Möglichkeiten für offene Systeme und Datenintegration ergeben. Bis dahin muss ich bei meiner aktuellen Lösung bleiben, die meinen Anforderungen besser entspricht und auf Anbieter wie Tibber mit dynamischen Strompreisen leider verzichten.
Nach den Erfahrungen anderer Foristen und auch auf anderen Seiten macht Tibber für "Otto Normal Verbraucher" ohne BEV oder andere große Stromverbraucher wenig Sinn. Und wenn bei Euch mit Strom gekocht wird, zu Zeiten zu denen der Strom teuer ist, dann steht man/Ihr der Entscheidung, entweder hungern oder teuren Strom kaufen. Gleiches gilt für Warmwasser mittels elektrischen Durchlauferhitzer. Es ist ja kein Zufall, dass wir privaten Endkunden mit dem Standardlastprofil vom Versorger kalkuliert werden. Alle Großverbraucher gehen in den Morgenstunden an, dann sinkt der Verbrauch, steigt Mittags, sinkt wieder und steigt Abends wieder. Nachts ist er gering und Morgens beginnt das gleiche Spiel von vorn. Das ist unseren Alltagszwängen geschuldet. Waschmaschine und Geschirrspüler kann man zeitversetzt einschalten, aber das andere eher nicht.
Wenn man professionell Elektronik entwickelt und weiß, welche Regelungen und Vorschriften man da alle einhalten muss, klingt es völlig absurd, dass ein Energieversorger irgendeine Selbstbastellösung für Abrechnungszwecke akzeptieren soll. Völlig undenkbar, noch dazu in einem Land, wo wirklich alles bis ins Absurde mit Vorschriften geregelt wird. Und dann auch noch Abrechnungsgeschichten, die darüber laufen...
Und dann stell dir mal den Support vor, Millionen Kunden, die hunderte verschiedene Selbstbastellösungen nutzen, die alle supportet werden müssen. Undenkbar.
Das ein Volkszähler technisch gleichwertig ist ist eine Annahme. Da weder klar ist was der Pulse genau kann noch wie der Volkszähler getestet ist würde ich mich zu dieser Annahme nicht versteifen.
Der Pulse kostet 99€. Ich denke das das Gerät kostendeckend produziert werden kann. Wenn man dann noch Wartung und Entwicklung rechnet ist das vermutlich kein wahnsinnig tolles Geschäft.
Vielen Dank für eure aufschlussreichen Antworten! Ihr habt mir definitiv geholfen, die Situation aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.
@deff: Du hast recht, dass der Nutzen von dynamischen Tarifen für "Otto Normalverbraucher" oft begrenzt ist. Die Alltagszwänge, die du beschreibst, sind tatsächlich eine große Herausforderung für die flexible Nutzung günstiger Stromzeiten. Ohne große steuerbare Verbraucher wie E-Autos oder Wärmepumpen ist das Einsparpotenzial wahrscheinlich überschaubar.
@Win: Dein Einwand bezüglich der Regelungen und Vorschriften in der professionellen Elektronikentwicklung ist sehr wertvoll. Ich hatte diesen Aspekt in meiner ursprünglichen Betrachtung nicht ausreichend berücksichtigt. Du hast völlig recht, dass ein Energieversorger nicht einfach beliebige Selbstbaulösungen für Abrechnungszwecke akzeptieren kann. Der Support-Aufwand wäre in der Tat enorm.
(Ich darf als neuer Nutzer nur maximal zwei Nutzer erwähnen, deshalb bleibt für dich leider kein "@" übrig ) MalteS: Deine Anmerkung zur Annahme der technischen Gleichwertigkeit ist sehr treffend. Ohne genaue Kenntnis der Spezifikationen und Testverfahren beider Systeme lässt sich das tatsächlich nicht abschließend beurteilen. Auch dein Punkt zur Wirtschaftlichkeit des Pulse ist interessant - wenn das Gerät tatsächlich nur kostendeckend produziert wird, wäre es kein primäres Geschäftsmodell.
Eure Beiträge haben mir geholfen, die Komplexität der Situation besser zu verstehen. Es scheint, dass neben technischen auch rechtliche, wirtschaftliche und praktische Aspekte eine große Rolle spielen.
Eine Frage, die sich mir nun stellt: Wie könnte man in Zukunft eine Balance finden zwischen der notwendigen Standardisierung für Abrechnungszwecke und der Offenheit für innovative, möglicherweise kostengünstigere Lösungen? Gibt es vielleicht Wege, wie Open-Source-Projekte die strengen Anforderungen erfüllen und zertifiziert werden könnten, ohne dass jeder Anbieter sein eigenes proprietäres System entwickeln muss? Oder meint ihr, dass das Thema einzig und allein durch die flächendeckende Ausrollung von Smartmetern gelöst werden kann? Da stellt sich aber wieder die Problematik der Auslesebarkeit für die Endbenutzer.
Ohne dass ich wirklich Ahnung hab: open-source und Zertifizierung passen nur dann zusammen, wenn der Hersteller die open-source nutzt, aber seine Geräte nicht vom Kunden "geflasht" werden können.
Beim Hichi könnte ein Script reichen, um alle Messwerte zu halbieren. Und wenn das mit Daten geschieht, die für die Abrechnung relevant sind, dann nennt man es Betrug. Da es gewiss findige Bastler gibt und dann könnte daraus dann auch Massenbetrug werden. Jedenfalls wird es solche Geräte nicht zum Preis des Volkszählers geben können, da das Zertifikat auch einiges an Geld und Aufwand kosten wird.
Mit selbst gebasteltem 'Pulse', 'Volkszaehler' usw. kann man ganz toll bescheissen:
Während HochpreisStunden den StundenVerbrauch mit fast Null melden. Und hinterher die somit nicht gemeldeten (teuren) kWh dann während NiedrigpreisStunden nachmelden.
Hinzu kommt dann noch Chaos im Support. Tibber bekommt es kaum gebacken wie es momentan ist.
Mein Fazit: Tibber macht das richtig. Pulse oder SmartMeter....... oder sein lassen.